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Und auf einmal explodiert das Stadion

August 19, 2018

Kopie.jpgBesondere Anlässe erfordern besondere Maßnahmen und so seh auch ich mich „genötigt“, nach dem gestrigen Pokal-Auftritt mal wieder in die Tasten zu hauen. Den einen oder anderen Fehler möge man mir verzeihen, aber noch immer ist in mir drin alles voller Euphorie, was in Verbindung mit zu wenig Schlaf in der letzten Nacht wahrscheinlich nicht die beste Kombination ist.

Aber fangen wir wie immer von vorn an:
Mein Studium und damit auch die Fahrten aus Münster sind seit Ende Juli Geschichte. Mittlerweile hat es mich nach Berlin verschlagen, was natürlich insbesondere die Fahrten zu den Heimspielen deutlich angenehmer gestaltet.
Samstagmorgen gegen 10:00 Uhr geht es los. Noch leicht verschlafen schreibe ich auf dem Weg zum Bahnhof jemandem: „Ich hab bezogen auf Hansa eigentlich keinen Optimismus mehr, aber im Pokal ist es jedes Jahr dasselbe… irgendwoher kommt so ein Funken Hoffnung, an dem man sich hochzieht. Und dann ist man auch bei so nem Spiel wieder enttäuscht, wenns nix wird“. Ich versuche mir also die ganze Fahrt über einzureden, dass für uns heute nichts geht. Der Kader der Stuttgarter scheint übermächtig und wenn es nicht das ist, dann die Tatsache, dass der Schiedsrichter unserer Pokalpartie kein geringerer als Sportfreund Stieler sein sollte. Wer erinnert sich nicht gern an das legendäre Spiel gegen Osnabrück, mit zwei Elfmetern und zwei roten Karten in der ersten Halbzeit?
Aber es nützt ja nix und nach etlichen Staus und ordentlicher Stärkung in der Trotze steh ich dann pünktlich zum Anpfiff doch wieder auf meinem gewohnten Platz im Stadion. Der Gedanke beim Anpfiff: So lange wie möglich die Null halten und dann mal schauen, was drin ist.
Stuttgart kommt früh zu einem gefährlichen Abschluss, der aber völlig unplatziert zum Geschenk und guten ersten Ball für Gelios wird. Nur wenige Minuten später – und ich muss zugeben, dass die Entstehung komplett an mir vorbei ging, weil ich einfach viel zu aufgedreht war – läuft Soukou auf einmal von rechts allein auf den Torwart zu. Klar, der hat gerade scheinbar einen Lauf und trifft irgendwie alles, was nicht rechzeitig in Deckung ist, aber der wird doch nicht etwa? In der Situation? Gegen den Torwart? Aus dem Winkel? Doch, er wird! Und wie! Mit dem rechten Außenrist kloppt er den Ball in die Maschen und bringt das Ostseestadion damit zum ersten Mal an diesem Abend zum Beben. Irgendein wildfremder Mensch hinter mir gibt mir beim Torjubel eins mit dem Ellbogen gegen den Kopf, ich muss mich einmal kurz schütteln und überlegen wo ich bin, aber alles egal. Dieses frühe Tor kann nicht nur wichtig, sondern vielleicht auch DER Schlüssel zum Erfolg werden.
Von den grob geschätzt 23.000 Hansafans im Stadion hat in dem Moment wahrscheinlich mindestens die Hälfte auf die Uhr geschaut. Jeder, der da war weiß durchaus was es bedeutet, wenn Hansa so früh in Führung geht. Stuttgart wird mit der Zeit überlegen, kommt ein paar Mal gefährlich in Richtung Tor. Am Ende ist aber immer irgendein Fuß, Bauch, Hintern oder Kopf dazwischen. Und wenn alle Stränge reißen, dann ist da noch Gelios im Tor, der einen Sahne-Tag erwischt und zur Stelle ist, wenn er gefordert wird. Aufreger  dann Mitte der ersten Halbzeit das Foul auf Höhe der Mittellinie gegen Pepic. Denkt man an das oben angesprochene Spiel gegen Osnabrück mit eben jenem Schiri zurück, kommt einem da eine Szene noch relativ früh in der ersten Halbzeit in den Kopf, in der Sascha Schünemann einen Osnabrücker auf exakt dieselbe Art und Weise an gleicher Stelle abräumt und dafür glatt rot sieht. Aber manche sind eben gleicher als andere und so gab es für den Stuttgarter gestern für dieselbe Aktion nur den erhobenen Zeigefinger und ein Dudu vom, auch wenn ich es ungern zugebe, sonst guten Schiri. Von mir aus könnten sich die Schiedsrichter das allgemein auch mal auf die Fahne schreiben, den ganzen Kleinscheiss nicht mehr abzupfeifen.
Das aber nur so nebenbei, denn mit dem 1:0 geht es in die Pause. Der Besuch in der 27A fällt heute kurz aus, was daran liegt, dass ich einfach zu aufgedreht bin und nicht wirklich in der Lage, mit irgendwem ein anständiges Gespräch zu führen. Ich weiß nicht, ob das ein allgemeines Schicksal als Hansafan ist, aber irgendwie wächst bei diesem Verein der Druck nur noch mehr, wenn man in solchen Spielen mit 1:0 in Führung liegt. Man hat das Gefühl, plötzlich was verlieren zu können, was an diesem Abend eigentlich auch wieder völliger Quatsch ist. Aber ihr wisst schon, wie ich das meine.
Pünktlich und weiter mit Vollgas geht es in die zweite Halbzeit und die beginnt so, wie die erste aufgehört hatte. Stuttgart mit gefühlten 95 Prozent Ballbesitz und so sehr man sich wünscht, dass hinten nicht die spielerische Lösung gesucht, sondern der Ball einfach weit vom eigenen Tor weg geschlagen wird, muss man irgendwann einsehen, dass es genau diese Bälle sind, die wie ein Bumerang zurück in den eigenen „Gefahrenbereich“ kommen. Die Gänsefüßchen deshalb, weil im Nachhinein betrachtet vielleicht zwei Aktionen von Stuttgart wirklich gefährlich waren. Kai Bülow wird später sagen „Wir haben nur Querpässe zugelassen“ und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Die Schwaben schaffen es einfach nicht, mal einen gefährlichen Ball in die Tiefe zu spielen. Ab und an kommt mal eine Flanke durch und entweder wird die rausgeköpft oder ein Stuttgarter haut die Murmel völlig ohne Not neben oder über das Tor. Egal welche der genannten Varianten eintritt… im Stadion wird alles bejubelt, wie bei anderen, erfolgsverwöhnteren Vereinen ein Tor.
Ich schaue gefühlt alle 20 Minuten auf die Uhr, um dann festzustellen, dass seit dem letzten Mal gerade einmal 3 Minuten vergangen sind. Noch nie hat sich ein Spiel so dermaßen gezogen.

Und dann ist er da, dieser eine magische Moment in der 84. Minute. Irgendwie lag schon vorher was in der Luft, auch weil Stuttgart aufgrund der Offensivbemühungen hinten aufmachen musste.
Wieder ist es der starke Soukou, der – gekonnt oder gestolpert (ist mir auch scheissegal) – zwei Gegenspieler ineinanderrennen lässt, Evseev anspielt, den Ball im zweiten Versuch zurückbekommt und im Fallen mit dem Rücken zum Tor und zum Mitspieler den Ball zum völlig freien Pepic weiterleitet. Was dann passiert ist erst Zeitlupe und dann eine regelrechte Explosion. Pepic trifft den Ball scheinbar gar nicht mal richtig, sondern drischt das Ding irgendwie direkt mit dem Schienbeinschoner in die linke untere Ecke. Der Ball fliegt und fliegt und fliegt… und liegt auf einmal hinter dem wieder geschlagenen Torwart der Gäste im Netz.
Plötzlich raffen 23.000 Leute gleichzeitig, was das bedeutet. Alle rasten aus, schreien gefühlt minutenlang ihre pure Freude und Erleichterung einfach nur raus, um dann dem Nebenmann, scheiss egal ob man ihn kennt oder nicht, in die Arme zu fallen. Selbst ich, sonst eher jemand, der sich mehr nach innen freut, muss von meinem Nebenmann vor einem Sturz in die Reihe vor mir bewahrt werden. Schon kurz danach muss ich mich ernsthaft zusammenreißen, weil sich eine kleine Träne ihren Weg bahnt. Ein einfach nur unbeschreiblicher Moment, den wahrscheinlich keiner der anwesenden jemals wieder vergessen wird.
Die Stimmung war schon die ganze Zeit stark, doch spätestens ab diesem Zeitpunkt kocht das Stadion endgültig. Nord, Ost, Süd, West… selten war das komplette Stadion so euphorisiert, wahrscheinlich auch, weil mit dem 2:0 der Druck abfiel. Plötzlich hatte Hansa auch wieder ein bisschen mehr Ballbesitz und mit jeder Welle, die da irgendwie auf die Süd zurollte, schwand die Angst und wurde mit jeder weiteren Sekunde einfach nur von purer Freude überlagert. Klar, wer nicht dabei war, wird sagen „Ich kann mir schon vorstellen, wie geil das war“. Aber nein. Einfach nein. Es war tausend Mal geiler, als ihr euch vorstellen könnt!
Der Abpfiff wird dann nochmal gefeiert wie ein Tor und nachdem sich auch die Mannschaft ihren verdienten Applaus abgeholt hat, leert sich das Ostseestadion so langsam. Während unten zusammengepackt wird, sink ich auf meinem Platz zusammen und merke in dem Moment erst einmal, wie kaputt ich eigentlich bin. Selten war ich wirklich über 90 Minuten so aufgedreht wie in diesem Pokalspiel und scheinbar werd ich halt doch einfach zu alt für den Scheiss.

An diesem Abend, in diesem Moment, ist unser Stadion wieder zu einer Festung geworden und bitte bitte bitte! Bitte lasst die jetzt nicht, wie es für den F.C. Hansa typisch wäre, von Würzburg einnehmen.

Hansa ist groß!